Erfurt. Das Bundesarbeitsgericht hat den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben (Urteil vom 07.07.2010, 4 AZR 549/08). Damit sind künftig in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander möglich. Der Sprecher des Bundesarbeitsgerichts betonte, dass damit der Weg für eine grundsätzliche Neuausrichtung des deutschen Tarifrechts frei gegeben sei.
In dem entschiedenen Fall herrschte beim Arbeitgeber Tarifpluralität. Eine solche wird angenommen, wenn der Betrieb des Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier von verschiedenen Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträgen für Arbeitsverhältnisse derselben Art erfasst wird, an die der Arbeitgeber gebunden ist, während für die Arbeitnehmer nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung findet. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts galt der Grundsatz, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag Anwendung finden soll, obwohl diese Tarifeinheit durch das Tarifvertragsgesetz nicht vorgegeben wird. Danach war eine Tarifpluralität im Falle einer unmittelbaren Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an verschiedene Tarifverträge in aller Regel dahin aufzulösen, dass nach dem Grundsatz der Spezialität der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten stehende und deshalb den Eigenarten und Erfordernissen des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten Rechnung tragende Tarifvertrag den anderen Tarifvertrag verdrängt. Begründet wurde diese Rechtsprechung mit den dem Tarifvertragsgesetz übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.
Nun vertritt das Bundesarbeitsgericht die Auffassung, dass im Falle der unmittelbaren Tarifgebundenheit des Arbeitgebers die Rechtsnormen eines Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG in den jeweiligen von seinem Geltungsbereich erfassten Arbeitsverhältnissen eines Betriebes unmittelbar und zwingend gelten. Weiterhin gebiete auch die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit die Abkehr vom bisherigen Prinzip der Tarifeinheit.
Die Auswirkungen des Urteils sind abzuwarten. Derzeit wird es sowohl von den Arbeitgebern als auch den Gewerkschaften kritisiert. Beide treten dafür ein, dass die Tarifeinheit gesetzlich festgeschrieben wird. Während die Arbeitgeber eine wachsende Zahl von Arbeitskämpfen befürchten, besteht nach Ansicht der DGB-Gewerkschaften die Gefahr der Bildung von kleineren Spartengewerkschaften.