Der Betriebsrat repräsentiert die Belegschaft als unabhängiges Gremium. Was aber gilt, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung schließen und dabei deren Inkrafttreten davon abhängig machen, dass ein bestimmter Anteil der Belegschaft (im hiesigen Fall 80 % der abgegebenen Stimmen) der Regelung schriftlich zustimmt? Diese Fragestellung hatte das BAG mit seiner Entscheidung vom 28.07.2020 – 1 ABR 4/19 zu beantworten. Konkret ging es dabei um eine Betriebsvereinbarung zu variablen Vergütungsbestandteilen von in einem Lager beschäftigten Arbeitnehmern. Die Antwort des Gerichts ist eindeutig: Die Geltung einer Betriebsvereinbarung darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die betroffenen Arbeitnehmer selbst zustimmen.
Die Betriebspartner vereinbarten in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall, dass die Betriebsvereinbarung in Kraft treten soll, wenn 80 % der abgegebenen Stimmen bis zum Ablauf einer vom Arbeitgeber gesetzten Frist der Betriebsvereinbarung einzelvertraglich schriftlich zugestimmt haben. Das BAG stellte zunächst fest, dass der Betriebsrat nicht an Weisungen der Arbeitnehmer gebunden ist und sein Handeln ebenso wenig der Zustimmung des individuellen Beschäftigten bedarf. Wenn auch auf den ersten Blick mit dem Erfordernis eines „Belegschaftsquorums“ die Annahme einer erhöhten Legitimation durch die Belegschaft nahe liegt, so verstoße eine solche Bedingung gegen die grundlegenden Strukturprinzipien des Betriebsverfassungsrechts. Das Gericht betonte insoweit, dass der Betriebsrat als Organ der Betriebsverfassung im eigenen Namen kraft Amtes tätig werde. Die normative Wirkung einer Betriebsvereinbarung trete unabhängig vom Willen oder der Kenntnis eines einzelnen Arbeitnehmers ein. Ihre Wirksamkeit von einer arbeitsvertraglichen Zustimmung eines Beschäftigten bzw. eines bestimmten Prozentsatzes der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abhängig zu machen, sei mit diesen Grundsätzen – so das BAG – nicht in Einklang zu bringen.
Die Vorinstanz (LAG München Beschluss v. 15.06.2018 – 3 TaBV 6/18) hatte das zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung führende Zustimmungserfordernis hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes nicht weiter geprüft und ging aufgrund der Tatsache, dass das geforderte Quorum von 80 % auch erreicht wurde, von einem wirksamen Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung aus. Dem schob das BAG einen Riegel vor: Zwar sah die Betriebsvereinbarung sogar eine zusätzliche Regelung vor, wonach auch bei einem Unterschreiten des notwendigen Zustimmungsprozentsatzes ein Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung unter bestimmten Umständen möglich sein soll. Einer solchen bedarf es nach der Entscheidung des BAG konsequenterweise schon von vornherein nicht, da bereits das eigentliche Erfordernis eines (positiven) Belegschaftsquorums rechtswidrig sei. Für die Praxis bedeutet die Entscheidung: Arbeitgeber und Betriebsrat dürfen die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung nicht von der Zustimmung einzelner Beschäftigter, auch nicht von einem bestimmten Anteil der Belegschaft abhängig machen. Als zuständige Betriebspartner obliegt es allein ihnen, normative Regelungen für den Betrieb in Kraft zu setzen.