Gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer verteilen vor den Räumlichkeiten des Betriebs Informations- und Werbematerialien. Insbesondere werden Flugblätter ausgegeben, in denen zur Teilnahme an einer Demonstration aufgerufen wird und Unterschriften für ein gewerkschaftliches Vorhaben gesammelt werden. Der Betriebsrat ist der Auffassung, ihm stünde hinsichtlich dieser Betätigungen der Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht zu. Stimmt das? Der Neunte Senat des BAG verneint ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats – und stützt dies insbesondere auf die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG.
Der Sachverhalt ist schnell geschildert: Vier Arbeitnehmer, die jeweils Mitglieder der Gewerkschaft ver.di sind, errichteten außerhalb ihrer Arbeitszeit vor den Räumlichkeiten des Betriebs des Arbeitgebers, der eine Klinik betreibt, einen Informationsstand. An diesem verteilten die Beschäftigten Flugblätter, in denen zur Teilnahme an einer Demonstration aufgerufen wurde, und sammelten Unterschriften für einen von der Gewerkschaft ver.di ins Leben gerufenen „Nordrhein-Westfälischen Appel für mehr Krankenhauspersonal“. Gegenstand des an den Bundesgesundheitsminister gerichteten Appells war die Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung für Krankenhäuser. Die Pflegedienstleiterin untersagte den Arbeitnehmern die Durchführung dieser Aktion. Der Betriebsrat machte in diesem Zusammenhang geltend, dass die Anordnung der Pflegedienstleiterin eine das Ordnungsverhalten betreffende Maßnahme sei und damit nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Insbesondere seien Betriebsrat und Arbeitgeber befugt, die Veranstaltung der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer im Betrieb zu regeln.
Das Ergebnis vorweggenommen entschied das BAG, dass dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zukomme. Denn eine in der Vermittlung von Informationen über gewerkschaftliche Ziele oder Aktionen bestehende Betätigung mitgliedschaftlich organisierter Arbeitnehmer im Betrieb unterliege nicht der Regelungsmacht des Arbeitgebers. Folglich könne auch kein Raum für ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehen. Das überzeugt: Grundsätzlich kommt den Betriebspartnern innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen zwar eine umfassende Regelungskompetenz hinsichtlich aller betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie des Inhalts, Abschlusses und der Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu. Das ist ständige Rechtsprechung des BAG. Kollidiert jedoch die Koalitionsfreiheit gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG mit Rechtspositionen des Arbeitgebers, bedarf es eines Ausgleichs. Dieser muss immer im Einzelfall im Wege einer Güterabwägung gefunden werden. Für den zu entscheidenden Fall geht das Gericht davon aus, dass der Koalitionsfreiheit Vorrang zu gewähren sei. Dies zeige auch § 2 Abs. 3 BetrVG, wonach die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, durch das Betriebsverfassungsgesetz nicht berührt würden. Die Betriebsparteien können deshalb – so das BAG – für derartige Organisationen und die gewerkschaftsgebundenen Arbeitnehmer im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG keine Festlegungen dazu treffen, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine koalitionsspezifische Betätigung im Betrieb zulässig ist. Kurzgehalten: Die Koalitionsfreiheit gewerkschaftsgebundener Arbeitnehmer geht bei derartigen Betätigungen den Rechtspositionen des Arbeitgebers vor, es besteht keine Regelungsbefugnis der Betriebspartner.